Der letzte Tag auf der Via Gottardo: Airolo war fest eingeplant, für den weiteren Weg hatte ich „Plan B“ und „C“ ausgeknobelt. Ich konnte nicht wissen, dass ich „Plan F“ brauchen würde.
Perfekter Tagesstart auf dem Gotthardpass
Der Tag begann perfekt mit einem perfekten Frühstück: Frisch gebackener Hefezopf, noch ofenwarmes Brot, intensiver Alpkäse, schöne Salami, frisch zubereitetes Bircher-Müesli und Blick auf die morgenrote Bergkulisse…
Nach einer ruhigen Juhuu-wir-haben-es-geschafft-Gedenk-Viertelstunde am See mussten wir – schweren Herzens – los. Die alte Pflasterstraße wand sich in kühnen Kurven hinab in die Tremola-Schlucht, der Wanderweg nahm aber meist die Dirrettissima. Luis hüpfte mit seinem Vierradantrieb vergnügt abwärts, für mich war es hingegen eine Herausforderung für Kraft und Konzentration.
Fliegende Murmeltiere?
Mehrere Alarmanlagen mit Fell beobachteten unseren Marsch und Luis lernte schnell: Da wo es pfeift, da gibt es was zu sehen. Viel praktischer als die nahezu lautlosen Eichhörnchen… Allerdings wendet er das neu erworbene Wissen auch auf kreischende Vögel an und ist irritiert, warum keine Murmeltiere am Himmel fliegen…
Zwei Tage hinauf auf den Gotthard, zwei Stunden hinunter. Um 10 Uhr hatten wir Airolo erreicht und wollten nur eines: Schnell durch auf die andere, schattige Talseite. Denn um 10 Uhr wollten wir den Wandertag noch nicht beenden und mein „Plan B“ sah vor, gleich die nächste „offizielle“ Via-Gottardo-Ettape nach Rodi anzuhängen.
Plan B: „Sentiero“ nach Rodi
Hinter dem Gotthardpass wurde der Wanderweg zum „Sentiero“: Teilweise verlottert; lückenhaft und falsch ausgeschildert; die baufälligen / zusammengekrachten „Geländer“ erwecken mehr Grusel statt Vertrauen.
Aber sonst: Tutti è Bello 😉 Viel Schatten und der tosende Ticino-Fluss ließen fast vergessen, dass die Autobahn ganz nah ist.
Auf eben jener Autobahn ging es kaum schneller als zu Fuß/Pfote auf der Via Gottardo: Ein ewig langer Stau zog sich Richtung Norden.
Wir kamen hingegen gut vorwärts, nur ein kurzer „Tankstopp“ zu Füßen der Ritombahn bei Piotta bremste unser Fortkommen.
Hoch und runter auf der „Strada Bassa“
Obwohl: Ebenfalls gebremst haben uns viele kunstvoll eingebaute Höhenmeter. Lustigerweise war unser Weg als „Strada Bassa“ ausgeschildert; das kann sich nur ein Scherzkeks ausgedacht haben. Was zum Beispiel auf der Karte zwischen Quinto und Rodi wie ein übler Anstieg am Berghang aussah, war in Wahrheit ein übler Anstieg am Berghang.
Wieder runter vom Hang und rein nach Rodi. Dort gibt es den/das/die Dazio Grande, ein sehr historisches Gebäude und jetzt Hotel. Ob die noch ein Zimmer haben? Einen Versuch war’s wert.
Dazio Grande und die Fake-Empfehlung
Glück gehabt: Vor dem Haus frohlockt eine Tafel: „Zimmer frei“. Pech gehabt: Die Tafel steht nur zum Spaß da, es ist ausgebucht.
Für diesen Fall hatte ich als „Plan C“ vor, mit dem Bus nach Airolo zu fahren, das ich am Morgen so sträflich schnell hinter mir gelassen hatte.
Doch die Servicekraft empfohl mir nachdrücklich das (angeblich) nächstgelegene Hotel in Faido und bot an, mich telefonisch anzukündigen. Warum nicht? Der nächste Bus wäre erst in einer Stunde gefahren und nach Faido war es nur noch „1 ore 5“.
Plan „F“ — wie „Faido“
Die beeindruckende Piottino-Schlucht motivierte für den Schlussspurt, doch hatten es die „1 Stunde 5 Minuten“ in sich:
- Meine Karte und mein GPS-Track ging nur bis Rodi.
- Die mangelhafte Beschilderung ließ mich mehr hoffen als wissen, noch auf dem richtigen Weg zu sein.
- Die hämischen Strada-Bassa-Schilder scheuchten uns Meter um Meter himmelwärts.
- Verlotterte Treppen und riesige Steinbrocken kosteten unendlich Kraft.
Schreck kurz vor dem Ziel
Und ganz oben schockierte uns eine Sperrung mit Lebensgefahr und Forstarbeiten? Alles wieder zurück?!? Ein Beipackzettel gab Entwarnung: Die Bäume haben pünktlich um 12:00 Feierabend und wollen danach nicht mehr gefällt werden.
So staksten wir über Äste und Stämme der frisch dahin gemetzelten Baumleichen unserem Ziel entgegen. Mit zwei hängenden Zungen und letzter Kraft erreichten wir die empfohlene Unterkunft.
3-Gänge-Wendung zum Guten
Und rätselten, warum diese Absteige von den Dazio-Grande-Damen so nachdrücklich empfohlen wurde… Und wunderten uns über die falsche Behauptung, es sei das nächste Hotel… [Später ist mir der Grund klar geworden, aber das gehört nicht hier her.]
Nach 31 km, 700 Höhenmetern hinauf und fast 2000 hinab war mir das dann auch egal. Ein erfrischender Abendgassigang zum Faidoer Wasserfall und ein passables 3-Gänge-Menü gaben dem Tag doch noch ein positiven Abschluss.