Wanderer wissen: An manchen Tagen läufts, an anderen nicht so. Heute war ein Tag der zweiten Sorte, obwohl die Voraussetzungen gut waren: Perfekte Temperaturen und abwechslungsreiche Strecke. Doch der wahre Hammer kam erst, als wir die letzten Schritte hinter uns hatten.
Regen bringt Segen
Morgens um 6 weckt mich Regengeplätscher — für mich ein gutes Zeichen: Ich konnte mir Zeit lassen, um das Ende des Regens abzuwarten. Und es würde den ganzen Tag frisch bleiben, sodass ich nicht in die morgendliche Kühle ausnutzen muss.
Also gemütlich herumtrödeln, gemütlich zusammenpacken, zum Bahnhof schlendern und mit dem Bus zur Pont de la Glane fahren.
Zur Abbeye Hautrive
Gestern gingen wir unter der Brücke durch, heute oben drüber. Die Wälder waren noch regennass, manche verspäteten Tropfen tropfen von den Blättern ins Genick.
Wir blieben auf der Höhe (was ich da noch nicht zu schätzen wusste) und kamen weitgehend eben nach Grangeneuve, dort hinab an die Saane und in die Abbeye Hautrive.
Die Kirche war unerwartet finster, allein das farbenfrohe Fenster bringt Schmuck und Glanz ins Innere. Eine Tür weiter forderte das Wort Creche meine Französisch-Kenntnisse und meine Neugier heraus. Doch es war nicht „bloß“ irgendeine Krippe, sondern eine ganze Reihe detailverliebter Dioramen mit unglaublicher Tiefenwirkung. Sehenswert!
Kilometer oder Höhenmeter?
Statt den ausschweifenden Schleifen der Saane zu folgen, entschied ich mich hinter der Abtei für eine Abkürzung — wohl wissend, dass ich mir dadurch etliche Höhenmeter einfange: Wer den Flusslauf ignoriert, muss aus dessen tiefem Tal hinaus.
Was ich mir als kurzen, sportlich absolvierten Anstieg vorstellte, war überraschend mühsam. Warum? Keine Ahnung. Für einen kurzen Kraftschub griff ich zum legendären Brezelkönig-Salamilaugenbaguette, das schon in Locarno, Zürich und Thun/Wattenwil energetische Wunder vollbracht hatte.
Noch einmal würde ich die Saane queren müssen. Nochmal ganz hinab und auf der anderen Seite wieder hoch?! Nein, denn zum Glück haben die Straßenplaner hier eine Hochbrücke über die Schlucht nach La Truffiere gestülpt.
Nach Rossens wählten wir die direkte Strecke über Corpataux. Weitere Hohenmeter und Straßenwanderung waren der Preis dafür, schnell in Rossens und am Lac de La Gruyeres sein zu wollen.
Versöhnung mit Rossens
Von Rossens kannte ich bisher nur ein Hotel, das mich zum Um Planen meiner Etappen zwang.
Heute hat es sich von der besten Seite gezeigt: Hunger und Durst verlangten nach Abhilfe — und eine Fromagerie stellte sich an meinen Weg. Ich würde sehr freudig begrüßt und der tres gentil chien gelobt, der brac draußen vor der Tür wartete.
Das Käseangebot war verlockend, doch mir war nach Herzhaftem. Mit mühsamen Französisch fragte ich rhetorisch nach pain — und erfuhr, dass nur ein paar Meter eine Gasse hinauf eine Boulangerie sei.
Auch dort sehr netter Empfang. Und Empanada! Hier!! Mitten in der schweizer Pampa!!!
Achterbahn am Käsesee
Wenige Minuten später: Ich biege um die Ecke, zum ersten Mal scheint heute die Sonne — und lässt das kühle Grün des Lac de la Gruyere erstrahlen. (Die Sonne war zwar gleich wieder weg, aber dieser kurze Show-Effekt war cool.)
Runter zur Staumauer und bei der erstbesten Gelegenheit den Einkauf aus der Boulangerie „verarbeiten“…
Schön gemütlich am See entlang? Nichts da! Der Wanderwege am Lac de La Gruyeres glich einer Achterbahn: Immer wieder hoch und runter und hoch und runter und hoch und runter und…
Wenn ich einen Berg hoch gehe, weiß ich, wann ich oben bin und fertig. Aber hier lauert hinter jede Abstieg auf Wasserniveau die nächste Steigung. Jeweils nur 10 oder 25 oder 50 Meter hoch, aber die Anzahl war erschöpfend und zermürbend.
Man merkt, dass dies kein „natürlich gewachsener“ Weg ist, sondern eine dieser Designer-Strecken, die so kein vernünftiger Mensch gehen würde. Umso mehr überrascht der Mangel an Sitzgelegenheiten: Auf vier Kilometer kein einziges Bänkchen, nicht mal ein Baumstumpf. Dann auf 500 Metern eine wahre Bankenschwemme, dann wieder nada.
So fuhren auch Motivation und Energie Achterbahn. Ich fühlte mich wie ein alter Laptop, der unter Höchstlast läuft, obwohl er nichts Besonderes zu leisten hat.
Aber schön war der Weg eigentlich doch 😉
Der Ziel-Hammer
Nach der ganzen Mühsal freute ich mich auf das „verkehrsgünstig gelegene“ Zimmer mit Seeblick. Doch was ich da erleben musste…
… möchte ich mit Rücksicht auf zart besaitete Leser nicht näher ausführen. Nur so viel: Das zweite Zimmer war akzeptabel. Und die Boulangerie im Ort die letzte Rettung, nachdem ich im Hotel nicht zu speisen wagte. So kam ich noch zu einem aussichtsreichen Abendbrot.
Ausblick auf morgen
Schnell weg hier. Auch weil es sonnig und warm werden soll. Es sind nur 16 Kilometer bis Gruyeres — wobei ich mit dem „nur“ nach dem heutigen Tag vorsichtig bin…