Via-Cannobio-Vorbereitungen: Die Übernachtungen

Eine Mehrtageswanderung ermöglicht maximale Flexibilität: Man kann jederzeit spontan entscheiden, wo der Wandertag enden soll und welchem Gasthof man seine müden Knochen anvertraut. Theoretisch.

In der Praxis sieht es etwas anders aus und ist ein Anlass für einen kurzen Abstecher in die Geschichte des Alpentransits:

Früher war der Weg an und über den Gotthard mit Hotels und Gasthöfen gepflastert. Dann kam der erste Gotthardtunnel, dann der Straßentunnel, dann der Basistunnel. Und mit jedem Fortschritt wurde der Transit schneller: Wo früher gerastet, Pferde gewechselt oder Kohlen nachgeschaufelt wurden, rast der Reisende heute vorbei oder darunter hindurch. Richtig viel Leben kommt in die Dörfchen und Städtchen nur noch, wenn die Gotthard-Autobahn (mal wieder) unter der Last der Hin- und Rückreisewellen zusammenbricht.

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So „rastet“ der Gotthard-Reisende im 21. Jahrhundert: 11 km Stau auf der N1 Richtung Norden

Pseudo-Auswahl oder Abendessen?

Was hat das nun mit mir und meiner Wanderung zu tun? Das: Durch den Gästeschwund ist Hoteldichte stellenweise sehr ausgedünnt; sie beschränkt sich in vielen Orten auf genau eine (= alternativlose) Möglichkeit. Und nach 20 bis 25 Kilometern Tagesetappe sinkt meine Flexibilität (und die meiner Füße), noch 5 oder 10 oder 15 km anzuhängen, damit man im nächsten (oder übernächsten) Dorf (vielleicht!) fündig wird.

Auch dort, wo es scheinbar mehr Auswahl gibt, ist sie faktisch beschränkt: Freies Einzelzimmer in der Schweiz für einen nicht im Lotto gewonnen habenden Hundebesitzer? Da wird die Karte der möglichen Adressen schnell sehr überschaubar. Hinzu kommt: Spontane Online-Recherchen und klärende Telefonate können dank Roaming schnell den Preis eines halben Abendessens kosten. Das Geld gebe ich lieber fürs Essen aus und verzichte auf den Nervenkitzel, ob und wo wir noch ein Bettchen/Körbchen finden.

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Deutlich besser als Roaming-Gebühren: Abendessen auf dem Gotthardpass

Wie sah das auf unseren bisherigen Etappen nach Cannobio aus?

Via Beuronensis: 1 von 3 = 33% Übernachtungen vorgebucht

Wahrscheinlich hätte ich mich nie auf den Weg nach Cannobio gemacht, wenn die erste Übernachtung in Beuron gescheitert wäre. Zitat aus » Pelikan bringt Luis zum Jakob:

Letztendlich hing das ganze Vorhaben nur noch an einem einzigen seidenen Faden: Die ganze Planung basierte auf einer „alternativlosen“ Übernachtungsmöglichkeit. Bekämen wir dort ein Zimmer, dann ginge der Plan auf. Falls nicht, dann nicht.

Glück gehabt! Auf mehr Übernachtungsorte wollte ich mich damals nicht festlegen — weil mir unklar war, wie weit ich käme. Ebenso unklar war mir, wie spannend es sein kann, mitten in der Hochsaison direkt am Bodenseeufer mal schnell und kurzfristig ein günstiges Einzelzimmer mit Hund zu finden…

Via Jacobi: 2 von 5 = 40% Übernachtungen vorgebucht

„Ruhetage pflasterten seinen Weg“ war das inoffizielle Motto dieser Wanderwoche; ohne Vorbuchung wäre ich in Affeltrangen und Fischingen vor verschlossenen Türen gestanden. Glückreiche Spontan-Übernachtungen fanden wir in Gibswil (großartiges Restaurant und praktischer Supermarkt nebenan), Einsiedeln (tolle Lage direkt gegenüber des Klosters) und Brunnen (Balkon und Seeblick!!!).

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Thematisch passende Kalorienzufuhr auf dem Jakobsweg: Frühstück mit Klosterblick

Via Gottardo: 5 von 6 = 83% Übernachtungen vorgebucht

Das Hotel in Erstfeld war alternativlos = vorgebucht und in Andermatt wollte ich — mitten in der Hochsaison — sicher gehen, zwischen all den Chinesen, Japanern, Russen und US-Bürgern ein bezahlbares Zimmerchen zu haben. Die Übernachtung auf dem St. Gotthard war ein Muss und deren erfolgreiche Reservierung K.-O.-Kriterium für meine Via Gottardo.

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Hier hat schon Goethe gefrühstückt (aber mit Sicherheit noch so gut): Ehemaliges Hospiz am Gotthardpass

Die einzig ungebuchte Übernachtung wird als Faido-Fail in die Geschichte meiner Extremgassigänge eingehen — doch aus Fehlern wird man klug: Mein Erkenntnisgewinn für den restlichen Weg nach Cannobio: Ich traue nur noch meinen eigenen Recherchen und glaube nur noch, was ich selbst verifiziert habe.

Via Cannobio: 100% Übernachtungen vorgebucht

Der Trend (33% — 40% — 83%) und der Erkenntnisgewinn aus Faido waren eindeutig. So kam es, dass ich nun alle Übernachtungen zwischen Lavorgo und Cannobio „ausrecherchiert“, gegengeprüft und verbindlich klar gemacht habe:

  • Weil es sowieso keine Alternativen gegeben hätte (die Anzahl an Hotels in Lavorgo ist seeehr übersichtlich)
  • Oder weil mir die aufgerufenen Preise unheimlich wurden (Locarno hat sich nicht als Schnäppchenjäger-Destination etabliert)
  • Oder weil der Termin heikel ist (eine Nacht an einem langen Wochenende im überfüllten Touri-Ort)
  • Und die restlichen Übernachtungen aus Konsistenzgründen.

Vom Spießer zum Hipster?

Alles vorgebucht und geprüft und festgelegt — ist das nicht spießig? Ja, so hätte ich das vor längst vergangenen Zeiten wohl genannt. Damals…

  • als unsereins mit einem InterRail-Ticket durch Europa und Marokko getingelt ist,
  • als wir wenig Geld durch viel Ahnungslosigkeit kompensiert haben,
  • als es statt Internet und Smartphone nur ein dünnes europäisches Kursbuch und einen dicken Europa-in-einem-Buch-Reiseführer gab,
  • als das einzig Vorgebuchte die (obligatorische) Sitzplatzreservierung für den Nachtzug nach Paris war.
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Here Vigo: HighTec-Rollmaterial der RENFE aus dem vorigen Jahrtausend

Ja ja damals…. Doch die Zeiten haben sich geändert, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß: Wenn der Abiturient von heute ein halbes Jahr auf die (von Papi & Mami gesponserte) Weltreise geht, werden sämtliche Unterkünfte und Transfers schon von zuhause aus reserviert.

Insofern bin ich nicht spießig oder bequem, sondern endlich im 21. Jahrhundert angekommen und auf bestem Weg, ein Hipster zu werden. Nur das mit dem Sponsor will noch nicht so richtig klappen…

(Bei Interesse bitte melden. Gegen geringes Entgelt trägt Luis gerne und ganz unauffällig ein geeignetes Produkt oder Werbebanner durchs Bild. Gegen Aufpreis auch durch ein Video).

2 Kommentare zu „Via-Cannobio-Vorbereitungen: Die Übernachtungen“

  1. Ich spiele auch immer mit dem Gedanken, eine Fernwanderung ohne Zimmerreservierung zu machen, schließlich habe ich mich bisher dagegen entschieden. Immerhin buche ich jetzt höchstens 2 – 3 Tage im Voraus. Bei meiner ersten längeren Tour, zwischen Basel und Beaune, habe ich mehr als 10 Unterkünfte reserviert. Ich habe sie zwar alle in Anspruch genommen, trotzdem finde ich es entspannter, etwas mehr Flexibilität zu haben. Viele wandern auch mit Zelt oder nur mit einem wetterfesten Schlafsack, um unabhängiger zu sein… Lg


  2. https://polldaddy.com/js/rating/rating.jsIch habe bei meiner letzten grösseren Pilgerreise 2017 sehr selten etwas vorher gebucht. In der Schweiz entweder am Vorabend, oder dann so um die Mittagszeit geschaut ob das geplante Ziel erreicht wird und wieviel Unterkunft Möglichkeiten es dort hat und bin damit gut gefahren.
    Dieses Mal habe ich dazugelernt. Der erste Abend ist reserviert und die Tage über Ostern haben wir vorsichtshalber auch bereits gebucht. lg

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