Bahn, Hund und Fahrkarte: Ein Drama in 8 Akten

Was ist die größte Herausforderung auf der Via Jacobi 2019? Die Strecke? Das Wetter? Die Höhenmeter? Nein, die Planung der Anreise mit Hund. Zumindest wenn man die verwegene Idee hat, umweltfreundlich mit der Bahn zu reisen. Ein Drama in 8 Akten und eines der letzten Abenteuer in Mitteleuropa. Und am Schluss übertraf sich die Deutsche Bahn noch selbst.

Die Mission

Die Aufgabe lautet:

  • Buchung einer Bahnfahrt von Horb nach Stans (CH).
  • Reisende sind ein Erwachsener sowie ein Hund namens Luis.
  • Zugbindung ist ok, allerdings sollte das Ticket kurzfristig stornierbar sein (man weiß ja nie…)
  • Zur Stressvermeidung für mich, Luis und andere Bahnfahrende möglichst wenig Umstiege und Reise 1. Klasse

1. Akt: Theorie vs. Realität oder: „Umsteigezeit anpassen“

Los geht s: bahn.de aufrufen, Start und Ziel eingeben sowie die grobe Abfahrzeit festlegen. Ergebnis: Horb 11:14 — Stans 15:18 und 2 mal umsteigen. Das klingt für den Laien gut, doch der Profi schaut (aus leidiger Erfahrung) auf die Details: Zürich HB Umsteigezeit 12 Min.

DB-Fun-Umsteigezeit

Wer gelegentlich mit der DB zur SBB fährt, kennt die unterschiedlichen Interpretationen von „pünktlich“: Bei den Schweizern gelten 3 Minuten schon als Verspätung, die deutschen Bahner finden 6 Minuten noch pünktlich (und lassen komplett ausfallende Züge vorsichtshalber komplett unter den Tisch fallen).

Die 12 Minuten Umsteigezeit sind daher ein theoretischer Fantasiewert, der mit jeder Minute DB-Verspätung zusammenschmilzt. Um nicht mit Luis und schwerem Rucksack quer durch den Zürcher Bahnhof rennen zu müssen, baut der Profi einen realistischen Zeitpuffer für’s Umsteigen ein. Praktischerweise hat die DB-Website dafür die Funktion Umsteigezeit anpassen.

2. Akt: Zusammen reisen, getrennt buchen

Die richtige Verbindung war ausgetüftelt, also Ticketkauf für Mensch und Hund. Luis braucht zwar ein Ticket, ist aber auf der DB-Website nicht als Hund vorgesehen. Deshalb verlangt die DB, ihn als „Kind von 6-14 Jahren“ einzugeben …

DB-Fun-Erwachsener-Kind
DB-Logik: Luis ist ein Hund und muss deshalb als Kind eingegeben werden. Aber nicht hier.

… und verführt damit zum Schwarzfahren: Nur der Laie glaubt, dass er hier einfach ein „Kind 6-14 J.“ hinzufügen dürfe. Der Profi weiß, dass es bei der DB aufs Kleingedruckte ankommt, klickt aus leidiger Erfahrung auf das Info-i und erfährt:

Angabe der Kinder, die in Begleitung ihrer Eltern oder Großeltern kostenlos mitreisen. Für Kinder, die nicht in Begleitung der Eltern / Großeltern reisen, ist eine separate Buchung erforderlich.

Scharf kombiniert: Hund braucht Ticket → Ticket kostet Geld → Hund reist nicht gratis → Hund braucht separate Buchung.

Das heißt: Erst Ticket für mich kaufen und dann für Luis nochmal alles von vorne. Als Bonus-Challenge sollte man dabei ganz genau darauf achten, ob die Verbindungssuche beim zweiten Mal wirklich dieselbe Verbindung ausspuckt — sonst wäre hund dank Zugbindung in einem anderen Zug unterwegs…

3. Akt: Erstklassiges Bahn-Geheimnis oder: Jahrelang umsonst draufgezahlt

Preisfrage 1: Wenn ich 1. Klasse in die Schweiz fahre und den Hund mitnehme, in welcher Klasse fährt dann der Hund? Richtig: In der 1. Klasse.

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Gut: Erste Klasse reisen. Besser: Zweite Klasse bezahlen. Luis: Bezahlen lassen.

Preisfrage 2: Wenn der Hund in der 1. Klasse in die Schweiz fährt, welches Ticket muss er dann haben? Ein 1.-Klasse-Ticket Falsch!

Auch ich dachte (und zahlte) jahrelang das Naheliegende — bis mich ein freundlicher Zugbegleiter eines (erfreulich) Besseren belehrte.

Wer’s nicht glaubt: In der DB-Community findet sich folgende „von DB Bahn bestätigte“ Antwort auf die Frage Braucht mein Hund ein Ticket für die 1. Klasse oder für die 2. Klasse, wenn ich ein 1. Klasse Ticket habe?

[…] dass nach den internationalen Beförderungsbedingungen (SCIC-NRT) bei Auslandsfahrten für Hunde ein 2.Kl-Ticket ausreichend ist, auch wenn der Hund in der 1.Kl fährt[…].

Achtung, das gilt nur für Reisen ins Ausland und nicht auf rein innerdeutschen Fahrten. Und so trennt sich auch hier die DB-Spreu vom SBB-Weizen: Die Schweizer sind nicht nur zuverlässig, sondern auch hunde(halter)freundlich:

Für Hunde jeder Grösse, die in Personen- oder Gepäckwagen mitgenommen werden, müssen Sie in allen Fällen den halben Preis für die 2. Klasse […] bezahlen.
Quelle: SBB – Angebote für Hunde

Das ist gut zu wissen, spart Geld und ist nur eine kleine Extra-Mühe: Da man das Hundeticket sowieso komplett separat buchen darf (siehe 2. Akt), wählt man beim „Alles nochmal von vorne“ für das vierbeinige Pseudo-Kind einfach 2. statt 1. Klasse aus.

4. Akt: Sinnfreier Sparpreis oder: Für dumm(e) verkauft

Textaufgabe für fortgeschrittene Grundschüler: Bei der DB gibt es für dieselbe Verbindung zwei verschiedene Angebote. Sie unterscheiden sich allein dadurch, dass man das „Sparpreis“-Ticket stornieren kann, das „Super Sparpreis-Ticket“ aber nicht. Das Stornieren kostet 10 Euro.

DB-Fun-Storno
DB-Logik: Mehr zahlen, um teurer nicht zu fahren.

Frage: Wann ist es sinnvoll, dass Sparpreis-Ticket zu nehmen?

Na, kommt Ihr auf die richtige Antwort? Genau: NIE.

Und nein, das ist keine Scherzaufgabe, sondern echte DB-Logik:

  • Ich zahle entweder 9,95 Euro und werfe das Ticket weg, falls ich doch nicht fahre.
  • Oder ich zahle 12,45 Euro, damit ich es für 10 Euro stornieren darf.

Bonus-Frage: Warum bietet die DB ein — in allen Szenarien — sinnloses Sparpreis-Ticket an? Meine Vermutung (und Hoffnung): Es handelt sich um eine großangelegte soziologische Feldstudie, um die Rechenkünste von DB-Kunden zu erforschen.

5. Akt: Mensch online, Hund offline

Wie in jedem Online-Ticket-Shop gibt’s Zugtickets als PDF zum Herunterladen und Ausdrucken. Also zum Beispiel mein Ticket. Oder das Ticket von Luis.

Äh, nein. Luis‘ Ticket ist da ein ganz blödes Beispiel, denn die DB hat für Kinder- bzw. Hunde-Tickets ein weiteres, teures Mysterium eingebaut:

Geben Sie bei der Buchung an, dass ein Kind von 6-14 Jahren ohne Begleitung verreist und wählen Sie Versand per Post. Hundetickets können nicht als Online– oder Handytickets zur sofortigen Verwendung online gebucht werden.
Quelle: Hinweise für die Mitnahme von Hunden

Mir (und Luis) ist egal, ob er ein paar Tage auf sein Ticket warten muss. Es ist ja noch viel Zeit bis zur Abreise.

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Luis hat Zeit (Symbolbild)

Nicht egal sind die 4,90 Versandkosten, die ich für den Versand seines 9,95-Euro-Tickets drauflegen darf — 50% Prozent Aufschlag für nix.
Randnotiz: Die naheliegende Idee, dann gleich beide Tickets per Post schicken zu lassen, geht natürlich nicht: 2 separate Buchungen (siehe 2. Akt) = 2 separate Briefe = 2 mal 4,90 Euro.

Wohl auch deshalb rät die Deutsche Bahn in o.g. Hinweisen:

In diesem Fall empfehlen wir, die Tickets am Automaten oder im Reisebüro zu kaufen.

Ich kann darüber inzwischen herzlichen lachen — ich kenne das ja schon.

Vor der ersten Bahn-mit-Hund-Reise fiel mir aber genau hier die Kinnlade herunter. An dieser Stelle des Kaufprozesses marschierte ich tatsächlich zum Bahnhof — ich war jung, naiv und brauchte das Geld frische Luft. Überraschung: Für solche Reisen ist der Fahrkartenautomat nicht vorgesehen.

Akt 6: Online zahlen schwer gemacht

Folglich also doch online — ich als Profi kenne es ja schon:

  1. Verbindung suchen.
  2. Verspätungspuffer einbauen.
  3. Angebote und Scherz-Angebote vergleichen.
  4. Sinnvolles Angebot auswählen.
  5. Nervige Zusatzangebote für Hotel und Versicherung wegklicken.
  6. Bezahlen.

Früher. Jetzt reicht die Kreditkarte nicht mehr, sondern braucht noch einen Zusatz-Secure-Code. Die Freischaltung geht „nur ein paar Tage“ und ist „ganz einfach“, wie das nervige How-to-Video ebenso langatmig wie euphemistisch erklärt. Hallo — ich will nur zwei Zugtickets kaufen und keine Marsmission starten!

Bezahlvariante 2 wartet mit dem originellen Wunsch auf, PIN und TAN meines Online-Bankings zu erhalten. Äh — ja klar. Darf es noch eine Vorsorgevollmacht und ein unterschriebenes Blanko-Testament sein?

Immerhin bietet die Bahn auch Zahlung per Lastschrift an: Per Mausklick wird sofort ein Code generiert, mit dem man diese Zahlungsart sofort freischalten kann. Sehr gut!, dann kann ich ja doch noch heute….

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Sofort … warten, bis der Freischaltcode kommt.

Leider hatte ich übersehen, dass der Code zwischen den beiden „soforts“ der Post verschickt wird. Also Zwangspause, Entspannungsübungen und überlegen, ob die Anreise per PKW nicht doch besser wäre….

+ + + Pause + + +

Akt 7: Die Last mit der Lastschrift und: „sunk cost fallacy“

Nein, jetzt hat mich der Ehrgeiz gepackt und ich will das Abenteuer „Ticketkauf“ mit Lastschrifteinzug beenden. Ein Wochenende später habe ich endlich Code / Zeit / Muße. Die Freischaltung klappt mit dem Code problemlos; ich darf ab sofort DB-Tickets per Lastschrift bezahlen.

Eigentlich. Aber nicht jedes Ticket. Zum Beispiel meines nicht. Ein super flexibles First-Class-Ticket nach Hamburg für 245 Euro? Kein Problem. Aber nicht das 9,95-Euro-Billet in die Schweiz — das geht aus Sicherheitsgründen natürlich nicht.

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Versunkener-Pfoten-Irrtum: Nein Luis, ich komme nicht ins Wasser.

Psychologisch hochinteressant: Hier tappe ich in das hinein, was Wirtschaftswissenschaftler als Sunk Cost Fallacy bezeichnen (deutsch etwa „Versunkene-Kosten-Irrtum“): Vernünftigerweise müsste ich sagen: Okay DB, Du hast gewonnen — ich behellige Dich nicht weiter und fahre mit dem Auto. Aber ich habe schon so viel Zeit und Mühe investiert, dass ich nicht aufgeben will — koste es, was es wolle.

» Darf noch ein bisschen mehr Geld zum Fenster hinaus geworfen werden? (Buchauszug aus „Das Geheimnis der Psyche“)

Akt 8: Ich werfe das Online-Handtuch oder: Buch’s noch einmal, Sam

Vom Online-Ticket-Kauf habe ich endgültig das, was Luis am liebsten hat: Die Schnauze voll.

Ich werfe das Handtuch und versuche mein Glück in der echten Welt, genauer: In der DB-Agentur im hiesigen Bahnhof.

Dort bringe ich mein Anliegen und mein bisher gesammelten Erfahrungen zu Gehör: „… und bitte in Zürich den späteren Anschlusszug … Nein, den Hund bitte extra buchen, der braucht nur zweiter Klasse … doch, glauben Sie’s mir, zweite Klasse reicht … Für mich bitte Sparticket, damit ich noch stornieren kann … Nein, nur für mich, für den Hund tut’s das Super Sparticket … Doch, das ist günstiger als das Stornieren beim anderen … Ja, das finde ich auch merkwürdig ….“

Gezahlt und fertig.

Fast. Denn der Ticketausdruckdrucker hat zwar Luis‘ Ticket ausgedruckt, aber meines verschluckt („… das passiert in letzter Zeit öfters…“). Nochmal ausdrucken is nich, für mein Ticket beginnt der ganze Buchungsspaß von vorne.

Der Drucker druckt brav. Das Ticket ist perfekt.

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So wollen es die Tickets: Luis auf dem Weg zu seinem Zug, ich fahre erst eine halbe Stunde später (Symbolbild)

Abgesehen von dem winzigen Detail, dass Luis und ich in verschiedenen Zügen von Zürich nach Luzern fahren werden: Luis mit dem IR 2651 um 13:35 Uhr, ich eine halbe Stunde später im IR 2653. Da war wohl bei einer der beiden Buchungen die Umsteigezeitanpassung verloren gegangen (vgl. Akt 2, Bonus-Challenge).

Mit vorbildlichem Engagement und bewundernswert Gelassenheit machte sich die Agentur-Dame (die ziemlich sicher nicht Sam heißt) zum dritten Mal ans Werk: Alles stornieren, alles wieder von vorne, Stoßgebete gen Himmel und gen Drucker et voilà: Zwei Tickets! Richtig! Heute! In meinen Händen!

mde
Na also, geht doch!

Zugabe oder: Das Beste kommt zum Schluss [Cliffhanger]

Für Unbeteiligte mag dieser ganze Artikel absurd und unglaubwürdig scheinen; für hundebesitzende Zugnutzer gab es jedoch wenig Neues zu lesen.

Deshalb hat sich die Deutsche Bahn die krönende Schlusspointe für die Zugabe aufgespart: Als ich vom erfolgreichen Ticketkauf wieder nach Hause kam, fand ich etwas heraus, was sogar noch hartgesottene Bahnfahrer überrascht. Denn …. aber dazu mehr in diesem Artikel: » Die Schlusspointe: Echte Tickets für Fake-Verbindung

4 Kommentare zu „Bahn, Hund und Fahrkarte: Ein Drama in 8 Akten“

  1. Hallo, dass ist ja sehr interessant, wie einfach 😡 es seit der mobilen IT geworden ist eine Reise zu planen. Da geht der DB die nächsten 10 Jahre die Arbeit nicht aus, mit soviel Verbesserungspotential.
    Gut habe ich einen Bahnhof mit Fahrkarten Schalter in der Nähe. Meine Fahrkarte mit Sitzplatz-Reservation nach Triest, kaufe ich dann jedenfalls dort, mit persönlicher Beratung. Die Bezahlung ist dort mittels 💵💰💳📱möglich.
    Ich bin sehr gespannt auf deine Fortsetzung.

    1. Liegt vermutlich daran, dass sich unser „Verkehrs“-Minister vorrangig für unsere darbende Autoindustrie einsetzen muss. Da ist CH klar im Vorteil und kann Bahnverkehr anbieten, den man auch nutzen kann und will…

  2. Liegt sicher nicht nur alleine am Auto-Minister. Bei uns will das Volk ein gutes öffentliches Verkehrsmittel, mehrfach durch Abstimmungen geklärt. Ihr habt ja deutlich weniger Mitsprache.

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