Via Jacobi 2020: Die Verschiebung (mit Hund)

Eigentlich wäre jetzt — eine Woche vor meiner Via Jacobi — der letzte Vorab-Arikel fällig gewesen, Thema vermutlich das voraussichtliche Wetter. Uneigentlich beuge ich mich der aktuellen Corona-Situation. Deshalb verbringe dieses Wochenende nicht mit Rucksack-Packen, sondern mit Reise-Stornieren. Schade für mich, aber….

A. Die Dynamik

Vor einer Woche war ich noch sicher, dass ich mich nächsten Sonntag auf den (Jakobs-) Weg machen würde und habe noch um jedes Gramm auf meiner Packliste gefeilscht (» Via Jacobi 2020: Die Packliste (mit Hund)).

Ich hatte nicht erwartet, welche Dynamik die Fallzahlen und die Gegenmaßnahmen innert kurzer Zeit entfalten. Richtig bewusst wurde mir das beim Recherchieren über die Situation am Genfersee: Wenn man „Corona“ + einen beliebigen Ortsnamen googelt, sind Presseartikel von Anfang der Woche noch weitgehend entspannt und „business as usual“ — kaum zu glauben, dass das erst fünf Tage her ist.

Unerwartete Dynamik. Hier im Sinne von „Dynamik wird hier nicht erwartet“.

Noch weniger vorhersehbar ist, wie sich die Situation die nächsten fünf / zehn / fünfzehn Tage entwickeln wird und ob wieviel „Logistik“ noch zur Verfügung steht. Wenn man zu Fuß, mit Hund und großen Rucksack unterwegs ist, ist man auf funktionierenden ÖV, viele kleine Läden und gebuchte Übernachtungen angewiesen.

B. Die Region

„Menschenansammlungen vermeiden“, heißt es allerorten. In der Schöllenenschlucht, im Cholrütitunnel oder in der oberen Leventina braucht es dafür keine große Anstrengung ;-). Doch für meine Via Jacobi 2020 rächt sich, was ich letzte Woche noch als Vorteil beschrieben habe: Der Weg führt durch dicht bebautes Gebiet.

Zudem sind vier von fünf Etappen im Kanton Waadt, der sich bei den Infiziertenzahlen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Notstandsgebiet Tessin liefert. Der Kanton Genf, in dem die beiden letzten Tage geplant waren, lag lange auf Platz 3.

Vermutlich ist das in einer Woche aber völlig egal, weil sich Corona dann ohnehin schon flächendeckend über die Schweiz gelegt haben wird: Nach dem das Virus vor Tagen selbst in Appenzell-Innerrhoden aufgetaucht ist, ist man nirgends mehr sicher…

C. Die Anreise und die Rückreise

Großveranstaltungen werden abgesagt oder sind verboten — wobei „Groß-“ immer kleiner wird. Im Städtchen Nyon, wo ich beispielsweise vierte Übernachtung geplant hatte, sind bereits 50 Personen das Limit: „Toutes les manifestations de plus de 50 personnes sont annulées“.

Eigentlich egal, denn ich hatte nicht geplant, mit Hund und Rucksack in ein Konzert, eine Diskussionsveranstaltung oder einen Club zu gehen. Nach einem anstrengenden Wandertag ziehe ich das ruhige Hotelzimmer vor, um dort meine tägliche Bloggerpflicht zu erfüllen.

Aber: „Against all DB odds“ ist die An- und Rückseite per Zug alternativlos, weil das eigene Auto in der Zielregion nur unnötig (und sehr teuer) herumstehen würde. Doch was ist ein Zug? Eine rollende Großveranstaltung ohne Chance, Abstand zu Mitmenschen zu halten. Speziell Strecke ZH – BE – LA ist der Zug so beliebt und voll, dass auch ein 1.-Klasse-Billet keinen Sicherheitsabstand gewähren würde.

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Nur Rindviecher halten derzeit keinen Mindestabstand (Symbolbild)

D. Die Verantwortung 1

„Den Schuss nicht gehört“ haben diejenigen, die alle Vorsichtsmaßnahmen ignorieren oder aktiv umgehen, weil „80% haben keine Symptome“ und „mir macht des Virus nix„. Leute, das interessiert niemand! Es geht ausnahmsweise nicht um Euch oder wie cool Ihr seid. Nein, es geht vielmehr darum, die Ausbreitung zu verlangsamen und den Peak abzuflachen, damit das Gesundheitswesen nicht kollabiert.

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Das Gesunheitswesen mobilisert alle verfügbaren Kräfte.

Ihr seid wahrscheinlich auch diejenigen, die schein-cool mit 130 durch eine Baustelle brettern, weil Ihr so toll autofahren könnt. Und nicht auf die Idee kommt, dass es um den Schutz derer geht, die dort arbeiten.

E. Die Verantwortung 2

Nicht nur an sich selbst denken, gilt nicht nur im großen Maßstab (siehe oben), sondern auch im kleinen: Nach derzeitigem Erkenntnisstand besteht bei jungen, gesunden Personen eine hohe Wahrscheinlichkeit für harmlosen bis symptomfreien Verlauf. „Jung“ ist relativ, aber als Nicht-Senior zähle ich mich mal zuversichtlich zu dieser risikoarmen Gruppe.

Das ist aber kein Argument, falls es in unmittelbarer Umgebung Personen gibt, die gleich mehrere Risikokriterien erfüllen und bei einer Infektion mit fatalsten Folgen zu rechnen hätten. Allein schon deshalb will ich mich von allem fernhalten, was die Wahrscheinlickkeit der Ansteckung erhöht.

F. Die Entscheidung

Im Moment sind alle Entscheidungen eine Gratwanderung, ob man sich von Hysterie anstecken lässt oder von Sars-CoV-2. Meine Sicht hat sich binnen kurzer Zeit ebenso dynamisch geändert wie die Situation:

  • Letzten Sonntag: „Kein Problem, was soll die Panik.“
  • Dienstag: „Hmmm…“
  • Mittwoch: „Oha, das Tessin macht dicht.“
  • Donnerstag: „Vielleicht sollte ich doch nicht…?“
  • Gestern: „Ich bleibe zu Hause.“

Hysterisch? Vernünftig? Uncool? Clever? Das werde ich erst später beurteilen können — die Situation vor Ort bekommt man ja mit, ob man will oder nicht.

Situation vor Ort (Live-Bild)

F. Die Stornierungen

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Nachdem Entscheid wollte ich den unangenehmen Teil — die Absagen — so schnell wie möglich hinter mich bringen. Das ging deutlich schneller und einfacher als die Zusagen/Buchungen:

Die Auberge in Tannay und das Hotel in Genf waren kein Problem, da ich ohnehin bis kurz vor Anreise stornieren konnte.

Beim Jeunotel in Lausanne darf man unter Angabe eines Ersatztermins verschieben. Nett gemeint, aber wie soll man jetzt einen Ersatztermin festlegen? Wenn niemand weiß, wie lange das ganze Schlamassel dauert? Und sämtliche beruflichen Termine/Planungen/Urlaube unklar werden? Nun — wir haben eine Lösung gefunden, mi der beide Seiten gut leben können ;-).

Bei den Zugtickets sieht man einmal mehr den Unterschied zwischen einem kundenorientierten ÖV und einem ÖV, der von einem als Verkehrsminister verkleideten Automotive-Lobbyisten verantwortet wird:

 

  • Links: Die SBB ist kulant und erstattet Tickets. Punkt.
    Heißt: Keine Reise, Geld zurück.
  • Rechts: Die Deutsche Bahn tut kulant und wandelt Tickets in Gutscheine um.
    Heißt: Keine Reise, Geld behalten.

Wie lange die Gutscheine gelten, verrät die Deutsche Bahn nicht. Stattdessen verwirrt ihre Website durch eine Informations-Endlosschleife: Die Corona-Pressemitteilung verspricht Details auf einer speziellen Corona-Seite, die für Details auf die Pressemitteilung verweist.

E. Der Hund

Von alledem ahnt Luis natürlich nichts. Wie auch? Großveranstaltungen haben ihn noch nie interessiert. Solange der Futternapf gefüllt ist Herrchen und/oder Frauchen mit ihm vor die Tür gehen, ist die Welt in Ordnung.

Noch mehr in Ordnung ist Luis‘ Welt, wenn Herrchen und/oder Frauchen jeden Tag zuhause sind. Dieser Wunsch wird möglicherweise schnell Wirklichkeit, sobald Home Office „stronlgy recommended“ oder offiziell angeordnet ist.

So gesehen wird die Situation für Luis in seiner Unwissenheit immer besser: Lieber mit dem ganze Rudel zu Hause als ohne Schlaf 120 Kilometer gassigehen.

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F. Die Verschiebung

„Aufgehoben ist nicht aufgeschoben.“ Bekäme ich jedes Mal einen Euro, wenn ich ich diesen Satz in diesen Tagen höre/lese/sage, wären die nächsten 500 Kilometer Wanderung finanziert.

Doch in diesen Tagen erlebe ich diesen Satz nicht (wie sonst) als eine gedankenlos dahingesagte Redewendung, sondern als hoffnungsvolles Versprechen. Auf der Corona-Info-Seite von Jabobsweg.de habe ich dazu diese passenden Zeilen gefunden:

Den Jakobsweg gibt es schon seit über 1000 Jahren. Er wird auch in ein paar Monaten noch auf dich warten.

So ist es.

Auch meine sorgfältig ausgetüftelte Planung (Zugverbindungen, GPX-Tracks, Übernachtungen….) wird auf mich warten und muss nur noch ein neues Datum bekommen.

Kurioserweise konnte ich das genau vor einem Jahr üben, als ich meine Via Jacobi 2019 ebenfalls schieben musste. Wenn auch nur um 2 Tage und aus viel banaleren Gründen (» Via Jacobi 2019: Los geht’s. Noch nicht).

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Nicht jeder Weg wartet auf mich. Aber das ist auch nicht der Jakobsweg.

F. Das Aber

Ja, ich finde es schade, dass diese Via Jacobi ausfällt.

Die Ende-März-Wanderwoche ist mir eine kleine Tradition, um den Frühling/Sommer einzuleiten und mich gedanklich neu zu sortieren. Außerdem möchte man nach Wochen und Monaten des Planens, Tüftelns und Vorbereitens, dass es endlich los geht.

Und ja, ich habe neben Zeit auch einige Euros und Franken in den Sand gesetzt.

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In den Sand gesetzte Franken (Symbolbild)

Aber: Wieviele Menschen wären glücklich, wenn ihre derzeit größtes Probleme ein verschobener Wanderurlaub und ein paar verschwundene Euros/Franken wären?

Daher: Schade, aber nicht schlimm.

Passt auf Euch auf, bleibt gesund und denkt an die, die nicht auf hohem Niveau jammern können.

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Jammern auf hohem Niveau (Symbolbild)

5 Kommentare zu „Via Jacobi 2020: Die Verschiebung (mit Hund)“

  1. Hallo, dann sind wir drei nun gleich weit. Ich habe allerdings bis jetzt nur geplant und noch nirgends etwas gekauft oder reserviert. Trotzdem ist ein Teil der Vorfreude nun eher zur Trauer geworden. Ich hätte ja auch eine längere Anreise gehabt und wenn man in ein eher unbewohntes Gebiet geht, dann ist man auf Übernachtung und Essen angewiesen. Falls die Versorgung in so einem Moment nicht klappt, oder man in Quarantäne gesetzt würde, wäre dies bestimmt schlimmer, als gesund zu Hause bleiben und die nächste Möglichkeit abwarten den Plan doch noch durchzuführen. TOI TOI Paul

    1. Ich habe heute von drei Pilgern gehört, die den Jakobsweg in F oder ES abbrechen mussten, weil alles geschlossen ist und jetzt im Hotel festsitzen, bis sie heimfliegen können. Da sitze ich lieber zuhause neben dem vollen Kühlschrank fest.

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