Die Sonne scheint, der Hund muss (und Herrchen will) raus, außerdem ist eine lange Pause zwischen morgendlicher Arbeit und nachmittäglichem Online-Meeting zu überbrücken. Was tun? Als Erinnerung an diverse alte Zeiten hatte ich mir eine schöne Runde im Neckartal ausgesucht — nicht ahnend, dass „Überbrücken“ zur wahren Herausforderung werden würde.
Der » Gewebeparkt Neckartal hat seit jeher seinen Reiz: Historische Industriearchitektur im tiefeingeschnittenen Tal, zum Leben erweckte „Lost places“ und interessantes Nebeneinander von Alt und Neu und Natur. Für mich auch noch ein Ort sehr schöner Erinnerungen (deren Grund ich hier nicht verrate ;-).

Für diesen Besuch ließ ich mich von » dieser Wanderung auf outdooractive inspirieren, allerdings ohne den „urbanen“ Teil. Außerdem in umgekehrter Richtung, damit ich mir den landschaftlich schönsten Teil für die zweite Hälfte aufsparen kann.
Mein Startpunkt war das » Kraftwerk Rottweil — ein beeindruckendes Industriedenkmal von » Paul Bonatz, das allein schon eine Reise wert ist (und im Gegensatz zu Bonatz‘ Stuttgarter Hauptbahnhof nicht abgesägt und verstümmelt wurde). Links des Kolosses führt ein unscheinbarer Weg nach hinten — kein privater Lieferanteneingang, sondern ganz „offiziell“. Wenn man sich direkt an dem Beton- und Stahlgebirge bewegt, sieht es noch beeindruckender aus als in der Totale.
Und im Augenwinkel glaube ich kurz, doppelt zu sehen. Ein weißes Duplikat des Schornsteins? Nein, der Aufzug-Testturm von » Helmut Jahn, der genau aus diesem Blickwinkel fast gleich groß und dick aussieht. Ziemlich genau 100 Jahre liegen zwischen den Entwürfen — und jetzt stehen die Werke zweier Star-Architekten scheinbar wie zweieiige Zwillinge nebeneinander.

Das war (für mich) schon nach 200 Meter Wegstrecke das erste Highlight — aber ich war ja nicht zum Türme-Gucken, sondern zum Gassiwandern hier. Also folgten wir dem Weg weiter durch das überraschend reizvolle Brunnentäle hinauf zu den Ausläufern von Rottweil.

Die nächsten 2 Kilometer waren eher unattraktives — Wohngebietswandern und Straßenbegleiten. Gut, dass ich die umgekehrte Richtung gewählt hatte und dieser Abschnitt nicht der abschließende Eindruck der Tour war. Mit der Überquerung der B27 fing dann richtige Landschaft an. Und ich bin endlich mal über die Holzbrücke gegangen, unter der ich so oft durchgefahren bin und mich gefragt habe, ob ich da mal drüber gehen würde ;-).

Ein wenig Wald, ein wenig Feld, ein waldiger Abstieg — und ich war im Neckartal mit Blick auf die spärlichen Reste der Neckarburg. Die ist A81-Fahrer als Namensgeber der gleichnamigen Raststätte bekannt; ich nutzte das Original ebenfalls für eine kurze Rast.



Ab hier würde ich über eine schöne, holzgedeckte Brücke auf die andere Neckarseite wechseln und auf lauschigen Pfaden zurück Richtung Rottweil gehen. Pfade und Brücke kannte ich bereits von der 3. Etappe des Neckarwegs (» Neckarweg III: Rottweil — Epfendorf).
Was ich leider nicht mehr wusste: Schon damals war die Brücke nicht mehr in bestem Zustand; meine Fotos von 2013 zeigen eine merkwürdiges Stützkorsett im Innern der Brücke:

Jetzt, 8 Jahre später, erfüllt die Stadt Rottweil ihre Verkehrssicherungspflicht dadurch, dass sie die Brücke komplett sperrt und verrammelt (» Schwarzwälder Bote:Massiver Pilzbefall — Neckarsteg erneut gesperrt). Einfache Lösung für die Stadt Rottweil, schlecht für mich: Kein Durchkommen zum Highlight meiner Strecke, keine alternative Brücke weit und breit — und auf demselben (mäßig attraktiven) Weg zurück wollte ich nun gar nicht.
Dann entdeckte ich a) ein offensichtlich ortskundiges Ehepaar und b) eine Furt direkt neben der Brücke. Tja, nach kurzer „Beratung“ (und dem Versprechen des Paares, mich ggf. herauszufischen) watete ich barfuß durch den Neckar.
Kurz vor dem anderen, rettenden Ufer wurde ich spontan an einen optischen Effekt erinnert, den man aus dem Physikunterricht und/oder Kochtopf kennt: Der Boden eines Gefäßes (oder Kopftochs) sieht höher aus als er ist. Oder das Flussbett des Neckars ist etwas tiefer als es ausgesehen hat…. Doch nachdem ich drei Viertel geschafft hatte, gab es kein Zurück mehr: Unter dem Beifall des ortskundigen Paares hatten wir es unfallfrei geschafft und konnte an den bis zu den Knien hochgerollten Hosenbeinen ablesen, dass meine Wasserstandschätzung ca. 20 cm zu optimistisch war. Gut, dass ich das nicht vorher wusste…

Der als „etwa kniehoch“ beschriebene Luis war komplett nass, meine Füße (nach schwäbischer Definition) auch. Mangels Handtücher und Sonne beschloss ich, aus dem Uferpfad einen Barfußpfad zu machen, um meine Gehwerkzeuge trocken zu gehen. Das funktionierte überraschend gut und nach dem eiskalten Neckarwasser (wir haben Ende Februar!!!) fühlte sich der waldige Weg fast angenehm warm an.
Einen Kilometer später wurde der Belag unangenehm und die Füße waren so weit trocken, dass wieder ins Schuhwerk einsteigen konnte. Über eine sehr kleine Holzbrücke wechselten wir erneut das Ufer; unter einer sehr großen Brücke (B 27) bogen wir ins Finale aka Gewerbepark ein.
Ich war ja nicht zum erstem Mal hier — aber zum ersten Mal seit dem Bau des Testturms. Es sieht schon sehr beeindruckend aus, wie der sich neben dem Taleinschnitt in den Himmel bohrt.
Zu lange konnte ich mich allerdings nicht beindrucken lassen. Die Neckardurchwatung, der inoffizielle Barfußpfad und ein paar kleine Umleitungen hatten mich wertvolle Zeit gekostet. Schnell zum Parkplatz ans Kraftwerk, rein ins Auto, ein letzter Blick zum Testturm und ab nach Hause. Und genau 4 Minuten vor dem Start des Nachmittags-Online-Meeting saß ich wieder diensteifrig vor dem Rechner ;-).
Hoffentlich mit inzwischen trockenen Hosenbeinen. Wobei unter dem Tisch würde es ja nicht auffallen.